15. April 2018

Vertragliche Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages bei Anwartschaftsrecht - Form des § 311b I 1 BGB ?

Vertragliche Aufhebung eines Grundstückkaufsvertrags bei Anwartschaftsrecht - Form des § 311b I 1 BGB - Ausgangssituation


Ein Grundstückskaufvertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bedarf gemäß § 311b I 1 BGB der notariellen Beurkundung im Sinne des § 128 BGB.

Fraglich ist, ob der Aufhebungsvertrag als actus contrarius zur Verpflichtung der Durchführung eines Grundstückskaufvertrages auch der Formvorschrift des § 311b I 1 BGB unterliegt, wenn der Erwerber zwar noch kein Eigentum, aber bereits ein Anwartschaftsrecht am Erwerb des Grundstücks beziehungsweise des Eigentums am Grundstück erworben hat. 

Da das Anwartschaftsrecht als wesensgleiches Minus zum Eigentum gilt, könnte sich die Lösung analog zur Lösung bei bereits erfolgter Übereignung ergeben. 

Wie immer empfiehlt sich jedoch auch hier die Differenzierung im Detail. Zwar ist das Anwartschaftsrecht ein wesensgleiches Minus zum Eigentum beziehungsweise wird als solches bezeichnet und auch behandelt, es ist aber nicht identisch mit dem Eigentum. Daher muss auch die Lösung im Falle des Anwartschaftsrechts spezifisch für das Anwartschaftsrecht gefunden werden. 

Zunächst ist dabei die Frage zu beantworten, was ein Anwartschaftsrecht überhaupt ist.


Anwartschaftsrecht - Definition


Das Anwartschaftsrecht ist eine rechtlich gesicherte Vorstufe zum Erwerb des Vollrechts und entsteht dadurch, dass von einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts bereits so viele Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, dass der Erwerb des Vollrechts durch den Veräußerer nicht mehr einseitig verhindert werden kann.


Anwartschaftsrecht - Beispiele



  • Eigentumsvorbehalt im Rahmen der Übereignung einer beweglichen Sache unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises
  • Verbindliche Auflassung eines Grundstücks und Erwerber hat den Antrag auf Eigentumsumschreibung gestellt
  • Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Erwerbers


Aufhebung des Grundstückskaufvertrages nach Begründung eines Anwartschaftsrecht des Erwerbers


Haben die Parteien einen Grundstückskaufvertrag geschlossen, aber noch nicht vollzogen, dann hat der Erwerber noch kein Eigentum und in der Regel auch noch keinen Besitz und keine Eintragung erlangt. 

Liegen aber bereits die Tatbestandsvoraussetzungen eines Anwartschaftsrechts vor, so hat der Erwerber damit eine Rechtsposition erlangt, die ihm einseitig vom Veräußerer nicht mehr streitig gemacht werden kann. Bei ungehindertem Ablauf des normalen Übereignungstatbestandes wird der Erwerber dann Eigentümer des Grundstücks. 

Das Anwartschaftsrecht wirkt zwar noch nicht wie das Eigentum, aber als Vorstufe zum Eigentum zumindest als wesensgleiches Minus zum Eigentum.  Insoweit ist die Frage, ob die Aufhebung des Grundstückskaufvertrages wie die wirksame Begründung des Grundstückskaufvertrages der notariellen Form des § 128 BGB gemäß § 311b I 1 BGB bedarf. 


Lösung der Literatur


Nach der herrschenden Meinung in der Literatur bedarf der Aufhebungsvertrag eines Grundstückskaufvertrages im Falle eines Anwartschaftsrechts des Käufers nicht der Form des § 311b I 1 BGB. 

Der Käufer als Inhaber des Anwartschaftsrechts solle gegen Zwischenverfügungen des Veräußerers geschützt werden, aber nicht vor sich selbst. Wenn der Käufer die Aufhebung des Grundstückskaufvertrages wünsche, so benötige er nicht den Schutz des § 311b I 1 BGB. 

Zudem könne der Erwerber und Käufer das Anwartschaftsrecht auch jederzeit formfrei aufheben, beispielsweise über die Rücknahme des Eintragungsantrages oder die Aufhebung der Vormerkung gemäß § 875 BGB. 

Mangels Schutzbedürftigkeit des Erwerbers und Käufers sei daher ein Formzwang gemäß § 311b I 1 BGB in Verbindung mit § 128 BGB überflüssig.


Lösung des BGH


Die Halbgötter in schwarz aus Karlsruhe sind der Auffassung, dass der Aufhebungsvertrag bezüglich eines Grundstückskaufvertrages im Falle eines Anwartschaftsrecht des Käufers sehr wohl der Form des § 311b I 1 BGB in Verbindung mit § 128 BGB bedürfe. 

Das Anwartschaftsrecht stelle nunmal ein wesensgleiches Minus zum Eigentum dar und daher sei der Fall wie bei schon vollzogener Übereignung zu behandeln. Weiter Einzelheiten zu den Argumenten finden Sie hier.


Stellungnahme - Der Einzelfall muss entscheiden


Die Schwäche der Literaturmeinung besteht darin, dass sie nicht alle Konstellationen erfasst und es durchaus sinnvoll sein kann, einen Aufhebungsvertrag dem Formzwang des § 311b I 1 BGB zu unterstellen. 

Zudem ist es zwar wohl grundsätzlich so, dass der Käufer die Aufhebung begehren wird, zwingend ist das aber nicht. Was also, wenn der Verkäufer und Veräußerer die Aufhebung begehrt und den Käufer und Erwerber dazu animiert beziehungsweise überredet. Dann kann es durchaus sein, dass der Anwartschaftsberechtigte durch die Formvorschrift des § 128 BGB und damit § 311b I 1 BGB geschützt werden muss. 

Umgekehrt kann es auch der Schutz des Veräußerers erfordern, dass beim Aufhebungsverlangen des Käufers der Veräußerer geschützt werden muss. Zu vielfältig sind die denkbaren Konstellationen, als dass man ganz allgemein von einer Anwendung des § 311b I 1 BGB generell absehen könnte. 

Andererseits überzeugt auch die Meinung des BGH nicht auf ganzer Linie. Das Anwartschaftsrecht mag zwar ein wesensgleiches Minus zum Vollrecht Eigentum sein, aber es ist nicht das Eigentum selbst. Insoweit ist es geboten, auch das Anwartschaftsrecht differenziert zu betrachten und zu behandeln. 

Es muss daher dem Einzelfall überlassen bleiben, ob die Anwendung des § 311b I 1 BGB geboten ist oder nicht. Dabei muss man der Auffassung des BGH zugutehalten, dass mehr Schutz grundsätzlich besser als weniger Schutz bedeutet. Es schadet daher sicher nicht, grundsätzlich von einer Formbedürftigkeit eines Aufhebungsvertrages bezüglich eines Grundstückskaufvertrages auszugehen. 

Letzten Endes ist ein solcher Vertrag auf eine Rückgängigmachung der ursprünglichen Vereinbarung und Verpflichtung gerichtet, womit der Schutzzweck des § 311b I 1 BGB entweder direkt betroffen oder aber doch in der Regel sehr nahe betroffen sein dürfte. 

Insbesondere bei Verhältnissen zwischen Unternehmern und Verbrauchern kann die Geltung des § 311b I 1 BGB dann indiziert sein, wenn der Verbraucherschutz dies gebietet. Dient die Formerleichterung dem Verbraucher, kann andererseits auch darauf verzichtet werden. 

Anders wiederum bei Grundstückskaufverträgen zwischen Kaufleuten; hier steht die Leichtigkeit und Schnelligkeit des Rechtsverkehrs im Vordergrund. Da Grundstücksgeschäfte sowieso per se bereits von Haus aus sehr schwerfällig vonstatten gehen, wird man hier grundsätzlich von einer Formfreiheit ausgehen müssen. Auch deshalb, weil die geschäftserfahrenen Kaufleute grundsätzlich im Rahmen einer Aufhebung und Rückgängigmachung nicht des Schutzes des § 311b I 1 BGB bedürfen und diesen auch in der Regel nicht wollen.


Fazit


Am Ende entscheidet nicht irgendeine vorgefertigte Meinung, sondern die sachgerechte Lösung des Einzelfalls unter Auswertung aller relevanten Fakten. Wer sich statt auf eigene Argumente lieber auf Autoritäten verlässt, der orientiert sich in Theorie und Praxis grundsätzlich an der Auffassung des Bundesgerichtshofes. 

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