Gesamtbetrachtungslehre Zivilrecht - Ausgangssituation
Bei der Beurteilung der Schenkungen von Eltern an ihre minderjährigen Kinder hat der Bundesgerichtshof (BGH) sehr lange an der Gesamtbetrachtungslehre festgehalten. Dabei wurde die gemäß dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip grundsätzlich gebotene getrennte Beurteilung des Verpflichtungs- und des Erfüllungsgeschäfts ausnahmsweise aufgegeben; beide Rechtsgeschäfte wurden ausnahmsweise einer Gesamtbetrachtung unterzogen. Die Gesamtbetrachtungslehre ist aber dogmatisch auf dem Rückzug und wird nur noch vereinzelt angewendet. Zumindest rechtshistorisch hat sie aber in jedem Falle noch Bedeutung.Gesamtbetrachtungslehre bei Schenkung eines Grundstücks - § 566 BGB
Fraglich ist, wie die Schenkung eines Grundstücks durch die Eltern an ihr minderjähriges Kind zu beurteilen ist, wenn das Grundstück vermietet ist. Gemäß § 566 I BGB tritt der Minderjährige anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Die Eigentümerstellung begründet damit für den Minderjährigen persönliche Pflichten aus dem Mietvertrag. § 566 BGB gilt über § 578 I BGB entsprechend bei Mietverhältnissen über Grundstücke und Räume. Zu beachten ist bei der Beurteilung derartiger Fälle zunächst, dass zwischen geschäftsunfähigen Minderjährigen und beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen zu unterscheiden ist.Gesamtbetrachtungslehre bei Schenkung eines Grundstücks an einen geschäftsunfähigen Minderjährigen im Rahmen des § 566 BGB
Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 BGB in der Geschäftsfähigkeit beschränkt. Im Umkehrschluss hieraus ist ein Minderjähriger, der siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, geschäftsunfähig. Die Willenserklärung eines geschäftsunfähigen Minderjährigen ist gemäß § 105 I BGB nichtig. Zur Schenkung eines Grundstücks der Eltern an den geschäftsunfähigen Minderjährigen ist daher ein Insichgeschäft notwendig. Die Eltern treten dabei im Rahmen des Schenkungsvertrages gemäß §§ 516 ff. als Schenker einerseits und auf der Beschenktenseite andererseits als Vertreter ihres Kindes auf. Ein solches Insichgeschäft ist gemäß § 181 Alt. 1 BGB, der je nach Auffassung direkt oder über §§ 1629 II, 1795 II BGB Anwendung findet, unzulässig. Aufgrund der Vorteilhaftigkeit des Schenkungsvertrages für den Minderjährigen ergibt sich aber aus dem Rechtsgedanken des § 107 BGB, dass § 181 Alt. 1 BGB in solchen Fällen teleologisch zu reduzieren ist. Damit ist der Schenkungsvertrag wirksam.Im Rahmen der Erfüllung dieses Schenkungsvertrages gemäß §§ 873, 925 BGB müssen die Eltern den geschäftsunfähigen Minderjährigen wiederum vertreten. Dieses Insichgeschäft ist nun kein Problem mehr, da es lediglich in Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem Schenkungsvertrag resultiert. In der gesamten Prüfungskette von obligatorischem Grundgeschäft bis zum dinglichen Vollzugsgeschäft wurde aber nun nicht berücksichtigt, dass die Übereignung an den Minderjährigen zu einer persönlichen Verpflichtung gemäß § 566 BGB in Verbindung mit den Pflichten aus §§ 535 ff. BGB führt. Hier kommt nun die Gesamtbetrachtungslehre ins Spiel.
Bei der Beurteilung, ob das Verpflichtungsgeschäft rechtlich vorteilhaft oder nachteilhaft ist, wird auf eine Gesamtbetrachtung von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft zurückgegriffen. Da das Erfüllungsgeschäft hier wegen § 566 BGB im Ergebnis nachteilhaft für den Minderjährigen ist, wird der Schenkungsvertrag von den Anhängern der Gesamtbetrachtungslehre als rechtlich nachteilhaft eingestuft. Um hier der Gefahr einer Umgehung des Minderjährigenschutzes entgegenzuwirken, wird der Trennungs- und Abstraktionsgrundsatz durchbrochen. Die Eltern bedürfen daher zum Abschluss des Schenkungsvertrages eines Ergänzungspflegers gemäß §§ 1693, 1909 BGB.
Die Gesamtbetrachtungslehre wird für solche Fälle aber nicht benötigt. Sie ist aufgrund der Durchbrechung des Abstraktionsprinzips auch abzulehnen. Es genügt für diese Fälle, § 181 Alt. 1 BGB teleologisch zu reduzieren. Für die Fälle, in denen die Erfüllung der Verbindlichkeit zu einem rechtlichen Nachteil des Minderjährigen führt, ist das Insichgeschäft dann nicht gestattet. Es muss ein Ergänzungspfleger gemäß §§ 1693, 1909 BGB für die Durchführung des dinglichen Vollzugsgeschäftes bestellt werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, im Rahmen des Schenkungsvertrages auf die teleologische Reduktion des § 181 Alt. 1 BGB wegen der Vorteilhaftigkeit des Schenkungsvertrages zu verzichten. Dies entspräche im Ergebnis dem Gedanken der Gesamtbetrachtungslehre, nur mit einer anderen dogmatischen Begründung. Dies käme aber der Gesamtbetrachtungslehre sehr nahe und ist daher im Ergebnis abzulehnen.
Gesamtbetrachtungslehre bei Schenkung an einen beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen im Rahmen des § 1108 I BGB
Der Ausgangsfall ist beim beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen in sachlicher Hinsicht wie oben. Wir verändern den Sachverhalt nur diesbezüglich, dass das Grundstück mit einer Reallast gemäß § 1108 I BGB belastet ist.Im Rahmen der Schenkung des Grundstücks an den Minderjährigen kann nun der Minderjährige selbst den Vertrag mit seinen Eltern schließen. Da sich im Rahmen einer Schenkung lediglich der Schenker verpflichtet, ist der auf den Erwerb des Eigentums am Grundstück gerichtete Schenkungsvertrag für den Minderjährigen lediglich rechtlich vorteilhaft im Sinne des § 107 BGB.
§ 1108 I BGB normiert die persönliche Haftung des Eigentümers des belasteten Grundstücks. Somit ist die Erfüllung des Schenkungsvertrag durch Übereignung des Grundstücks an den Minderjährigen gemäß §§ 873, 925 BGB mit einer persönlichen Haftung des Minderjährigen im Rahmen der Reallast gemäß § 1108 I BGB verbunden. Daher bedarf die Übereignung des Grundstücks der Zustimmung durch die Eltern, vgl. §§ 107 ff. BGB.
Die Übereignung des Grundstücks der Eltern an das Kind durch Stellvertretung scheitert als Insichgeschäft nicht an § 181 Alt. 1 BGB, da die Übereignung lediglich als Erfüllung der Verbindlichkeit in Form des Schenkungsvertrages erfolgt. Auch hier wiederum ist aber die Erfüllung wegen der Reallast nachteilig und birgt die Gefahr einer Umgehung des Minderjährigenschutzes. Um dies zu vermeiden, durchbricht die Gesamtbetrachtungslehre den Abstraktionsgrundsatz und beurteilt den Schenkungsvertrag als Verpflichtungsgeschäft im Wege der Geamtbetrachtung von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft ganzheitlich. Daher ist der Schenkungsvertrag wegen Übereignung eines mit einer Reallast belasteten Grundstücks insgesamt als rechtlich nachteilhaft einzustufen. Damit ist für solche Rechtsgeschäfte ein Ergänzungspfleger gemäß §§ 1693, 1909 BGB zu bestellen.
Auch hier wird, wie oben, die Gesamtbetrachtungslehre nicht benötigt. Das gleiche Ergebnis erzielt man im Wege einer teleologischen Reduktion des § 181 Alt. 1 BGB. Dies hat den Vorteil, dass das so grundlegende Abstraktionsprinzip nicht durchbrochen werden muss. Im Ergebnis ist auch hier ein Ergänzungspfleger gemäß §§ 1693, 1909 BGB zu bestellen.
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