5. Februar 2018

ZUGANG DER WILLENSERKLÄRUNG UNTER ANWESENDEN

Zugang einer empfangsbedürftigen Willenserklärung

Damit empfangsbedürftige Willenserklärungen wirksam werden können, müssen sie abgegeben worden und zugegangen sein. Der Zugang einer Willenserklärung liegt dann vor, wenn die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass mit ihrer Kenntnisnahme unter Zugrundelegung verkehrsüblicher Verhältnisse gerechnet werden kann. Eine tatsächliche Kenntnisnahme durch den Adressaten ist daher nicht notwendig!

Zugang unter Anwesenden - § 130 I 1 BGB analog

Den Zugang unter Anwesenden hat der Gesetzgeber nicht normiert. Mit § 130 BGB existiert lediglich eine Regelung für den Zugang unter Abwesenden. Aufgrund dieser wohl planwidrigen Regelungslücke und der vergleichbaren Interessenlage wird für den Zugang unter Anwesenden § 130 I 1 BGB analog angewendet. Dabei ist nicht nur zwischen dem Zugang unter Abwesenden gemäß § 130 I 1 BGB direkt und dem Zugang unter Anwesenden gemäß § 130 I 1 BGB analog zu unterscheiden. Es ist auch zu differenzieren zwischen dem Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden und dem Zugang einer nicht verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden.

Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden

Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden wird durch die Übergabe der verkörperten Willenserklärung bewirkt. 

Beispiel: Der Arbeitgeber übergibt am Arbeitsplatz seinem Arbeitnehmer die schriftliche Kündigung. 


Keine Übergabe in diesem Sinne liegt vor, wenn die verkörperte Willenserklärung dem Adressaten lediglich heimlich zugesteckt wird. Genauso fehlt es an einer Übergabe im obigen Beispiel, wenn der Arbeitgeber die Kündigung des Arbeitnehmers lediglich in seinem Beisein unterschreibt. Die Übergabe setzt damit also eine bewusste und gewollte Übertragung des Besitzes bzw. Gewahrsams der verkörperten Willenserklärung in Kenntnis des Empfängers voraus. 

Zugang einer nicht verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden 

Eine Willenserklärung kann unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Neben der verkörperten Erscheinungsform in Schriftstücken sind vornehmlich mündliche Willenserklärungen für den Rechtsverkehr relevant. Aber auch Willenserklärungen durch konkludentes Verhalten wie beispielsweise dem Armheben auf einer Versteigerung sind häufig. Hier kommt es auf die visuelle Wahrnehmung durch den Empfänger an. Bei auditiv vermittelten Willenserklärungen gelten die Vernehmungstheorien.

Zugang einer nicht verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie

Die eingeschränkte Vernehmungstheorie sieht den Zugang einer mündlichen Willenserklärung als dann bewirkt, wenn der Erklärende damit rechnen konnte und durfte, dass der Empfänger die Willenserklärung akustisch richtig und sinngemäß verstanden hat. Der Erklärende muss sich also sicher sein dürfen, dass der Adressat seiner Willenserklärung redlicherweise auditiv und semantisch Erklärung und Wille zutreffend erfasst hat. Da diese Auffassung überwiegend vertreten wird, spricht man auch von der herrschenden Meinung.

Zugang einer nicht verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden nach der strengen Vernehmungstheorie

Die strenge Vernehmungstheorie schützt den Erklärungsempfänger stärker als die vermittelnde eingeschränkte Vernehmungstheorie. Nach der strengen Vernehmungstheorie ist eine mündliche Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt zugegangen, in welchem der Empfänger die Willenserklärung akustisch und sinngemäß richtig verstanden hat. Das Erklärungsrisiko liegt damit einseitig beim Erklärenden.

Eingeschränkte Vernehmungstheorie gegen strenge Vernehmungstheorie

Die eingeschränkte Vernehmungstheorie objektiviert ihre Tatbestandsvoraussetzungen und macht damit die Feststellung des Zugangs einer mündlichen Willenserklärung kontrollierbarer und greifbarer. Demgegenüber stellt die strenge Vernehmungstheorie auf das rein subjektive Element des Empfängers ab. Der Empfänger alleine entscheidet, ob er die Willenserklärung richtig verstanden hat und ihm damit die Willenserklärung zugegangen ist. Damit ist die strenge Vernehmungstheorie rein subjektiv, einseitig und berücksichtigt nicht die Interessen von Erklärendem, Empfänger und Rechtsverkehr. Dies mag zwar einen hohen Schutz des Erklärungsempfängers bewirken, führt aber zu massiven Nachteilen für den Rechtsverkehr und den Erklärenden. Daher erzeugt die strenge Vernehmungstheorie hohe Rechtsunsicherheit, weshalb sie auch nur von einer Minderheit vertreten wird.

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