11. Februar 2018

Schweigen im Rechtsverkehr BGB

Grundsätzliche Bedeutung des Schweigens im Rechtsverkehr

Schweigen ist grundsätzlich ein Nullum und hat damit keine Bedeutung im Rechtsverkehr. Um Rechtsfolgen auszulösen, bedarf es eines bedeutsamen Handelns, Duldens oder Unterlassens mit Erklärungswert. Da Schweigen grundsätzlich weder einen ausdrücklichen noch konkludenten Erklärungswert hat, wird ihm im Rechtsverkehr auch grundsätzlich keine Bedeutung beigemessen. Damit hat Schweigen grundsätzlich keine Erklärungswirkung und bedeutet daher auch weder Ablehnung noch Zustimmung im Rechtsverkehr. Schweigen stellt damit im Grundsatz keine Willenserklärung dar.


Die Ausnahme vom Grundsatz bei beredtem Schweigen

Bei beredtem Schweigen liegt eine Ausnahme vom Grundsatz vor, dass Schweigen keinen Erklärungswert hat. Hier stellt das Schweigen ausnahmsweise eine Willenserklärung dar, ohne dass eine gesetzliche Regelung dafür existiert. Nach dem Grundsatz der Privatautonomie dürfen die Parteien ihre Rechtsverhältnisse untereinander grundsätzlich frei gestalten. Hierbei ist es auch möglich, dass die Parteien vereinbaren, dass Schweigen einen bestimmten Erklärungsinhalt repräsentiert. Im Zusammenhang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist jedoch die Grenze in § 308 Nr. 5 BGB zu beachten. Typische Regelungen zum Schweigen und einem entsprechenden Erklärungswert gibt es auch im Handelsrecht. Hier wird das Schweigen eingesetzt, um die Schnelligkeit und Leichtigkeit des Handelsrechtsverkehrs zu fördern. Unabhängig vom Handelsrecht können gemäß § 242 BGB auch lange Geschäftsbeziehungen dazu führen, dass Parteien auf die Angebote ihrer Geschäftspartner reagieren müssen. Wird geschwiegen, so kann hierin eine Annahme zu sehen. Entscheidend sind aber hier immer die Umstände des Einzelfalles. In demselben Fahrwasser befinden sich die Ausnahmen gemäß § 242 BGB bei geringfügig abweichenden oder verspäteten Annahmeerklärungen. Diese gelten gemäß § 150 I, II BGB als neues Angebot. Ein Schweigen auf ein solches neues Angebot kann gemäß § 242 BGB in bestimmten Einzelfällen als Annahmeerklärung gelten. 


Weitere Ausnahmen  - Schweigen als Willenserklärung

Neben den parteilichen Vereinbarungen und den anerkannten Fällen des beredten Schweigens sieht das Gesetz in bestimmten Fällen eine Fiktion einer Willenserklärung durch Schweigen vor. Dabei kann das Schweigen sowohl als zustimmende als auch als ablehnende Willenserklärung fingiert werden.


Schweigen als Zustimmung


Schuldübernahme - Schweigen als Erteilung der Genehmigung -  Übernahme einer Hypothekenschuld - § 416 I 2 BGB

Übernimmt der Erwerber eines Grundstücks durch Vertrag mit dem Veräußerer eine Schuld des Veräußerers, für die eine Hypothek an dem Grundstück besteht, so kann der Gläubiger die Schuldübernahme nur genehmigen, wenn der Veräußerer sie ihm vorher mitteilt. Sind seit dem Empfang der Mitteilung sechs Monate verstrichen, so gilt gemäß § 416 I 2 BGB die Genehmigung als erteilt, wenn nicht der Gläubiger sie dem Veräußerer gegenüber vorher verweigert hat.


Kauf auf Probe - Billigungsfrist - Schweigen als Billigung - 455 S. 2 BGB

Die Billigung eines auf Probe oder auf Besichtigung gekauften Gegenstandes kann nur innerhalb der vereinbarten Frist und in Ermangelung einer solchen nur bis zum Ablauf einer dem Käufer von dem Verkäufer bestimmten angemessenen Frist erklärt werden. War die Sache dem Käufer zum Zwecke der Probe oder der Besichtigung übergeben, so gilt sein Schweigen als Billigung.


Schenkung - Begriff der Schenkung - Schweigen als Annahme der Schenkung - § 516 II 2 BGB

Eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, ist Schenkung, wenn beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Ist die Zuwendung ohne den Willen des anderen erfolgt, so kann ihn der Zuwendende unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme auffordern. Nach dem Ablauf der Frist gilt die Schenkung als angenommen, wenn nicht der andere sie vorher abgelehnt hat. Im Falle der Ablehnung kann die Herausgabe des Zugewendeten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung gefordert werden.


Mietrecht - Stillschweigende Verlängerung des Mietvertrages - Schweigen als Zustimmung zur Fortsetzung des Vertrages - § 545 BGB

Setzt der Mieter nach Ablauf der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache fort, so verlängert sich das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit, sofern nicht eine Vertragspartei ihren entgegenstehenden Willen innerhalb von zwei Wochen dem anderen Teil erklärt. 


Dienstvertrag - Stillschweigende Verlängerung des Dienstverhältnisses - Schweigen als Zustimmung zur Fortsetzung des Dienstverhältnisses - § 625 BGB

Wird das Dienstverhältnis nach dem Ablauf der Dienstzeit von dem Verpflichteten mit Wissen des anderen Teiles fortgesetzt, so gilt es als auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern nicht der andere Teil unverzüglich widerspricht. 


Erbrecht - Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft - Schweigen als Annahme der Erbschaft - § 1943 BGB

Der Erbe kann die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat oder wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist verstrichen ist; mit dem Ablauf der Frist gilt die Erbschaft als angenommen.


Handelsrecht - Schweigen als Annahme eines Antrags - § 362 I 2 HGB

Geht einem Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von jemandem zu, mit dem er in Geschäftsverbindung steht, so ist er verpflichtet, unverzüglich zu antworten; sein Schweigen gilt als Annahme des Antrags. Das gleiche gilt, wenn einem Kaufmann ein Antrag über die Besorgung von Geschäften von jemand zugeht, dem gegenüber er sich zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat.


Schweigen als Ablehnung



Rechtsgeschäftslehre - Vertragsschluss ohne Einwilligung bei Minderjährigen - Schweigen als Ablehnung - § 108 II 2 BGB

Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab. Fordert der andere Teil den Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Minderjährigen gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. Ist der Minderjährige unbeschränkt geschäftsfähig geworden, so tritt seine Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vertreters.


Stellvertretung - Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht - Schweigen als Ablehnung - § 177 II 2 BGB

Schließt jemand ohne Vertretungsmacht im Namen eines anderen einen Vertrag, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags für und gegen den Vertretenen von dessen Genehmigung ab. Fordert der andere Teil den Vertretenen zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Vertreter gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert.


Schuldübernahme - Vertrag zwischen Schuldner und Übernehmer - Schweigen als Ablehnung - § 415 II 2 BGB

Wird die Schuldübernahme von dem Dritten mit dem Schuldner vereinbart, so hängt ihre Wirksamkeit von der Genehmigung des Gläubigers ab. Die Genehmigung kann erst erfolgen, wenn der Schuldner oder der Dritte dem Gläubiger die Schuldübernahme mitgeteilt hat. Bis zur Genehmigung können die Parteien den Vertrag ändern oder aufheben. Wird die Genehmigung verweigert, so gilt die Schuldübernahme als nicht erfolgt. Fordert der Schuldner oder der Dritte den Gläubiger unter Bestimmung einer Frist zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Genehmigung nur bis zum Ablauf der Frist erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. Solange nicht der Gläubiger die Genehmigung erteilt hat, ist im Zweifel der Übernehmer dem Schuldner gegenüber verpflichtet, den Gläubiger rechtzeitig zu befriedigen. Das Gleiche gilt, wenn der Gläubiger die Genehmigung verweigert.


Kaufvertrag - Kauf durch ausgeschlossenen Käufer - Schweigen als Ablehnung - § 451 I 2 BGB

Die Wirksamkeit eines dem § 450 zuwider erfolgten Kaufs und der Übertragung des gekauften Gegenstandes hängt von der Zustimmung der bei dem Verkauf als Schuldner, Eigentümer oder Gläubiger Beteiligten ab. Fordert der Käufer einen Beteiligten zur Erklärung über die Genehmigung auf, so findet § 177 Abs. 2 entsprechende Anwendung. Wird infolge der Verweigerung der Genehmigung ein neuer Verkauf vorgenommen, so hat der frühere Käufer für die Kosten des neuen Verkaufs sowie für einen Mindererlös aufzukommen.


Anfechtung des Schweigens bei Erklärungswirkung

Insofern Schweigen ausnahmsweise Erklärungswirkung beigemessen wird stellt sich die Frage, ob dann auch folgerichtig bei Irrtümern über die Bedeutung des Schweigens eine Anfechtungsmöglichkeit besteht. Hierbei ist wiederum zu differenzieren, ob das Schweigen Zustimmungswirkung oder aber Ablehnungswirkung hat. 


Anfechtung bei Schweigen mit Zustimmungswirkung

Wird dem Schweigen im Rechtsverkehr ausnahmsweise Zustimmungswirkung beigemessen, so ist die Anfechtungsmöglichkeit grundsätzlich zu bejahen. Begründet wird dies damit, dass der Erklärende, der etwas durch Schweigen erklärt oder dessen Schweigen jedenfalls Erklärungswirkung beigemessen wird, nicht stärker mittels des Schweigens gebunden werden soll als derjenige, der ausdrücklich eine Willenserklärung mit dem entsprechenden Erklärungsinhalt des Schweigens abgeben würde. Fraglich ist dann jedoch, ob im Falle der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Anfechtung auch ein Anfechtungsgrund im Sinne der §§ 119 ff. BGB vorliegt. Ein Irrtum über die Rechtsfolgen des Schweigens selbst ist hierbei unbeachtlich. Ein Irrtum über die Rechtsfolgen des Schweigens ist als Subsumtionsirrtum ein bloßer unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum. Dies stellt jedoch keinen Anfechtungsgrund dar. Eine Anfechtung scheidet damit beim Irrtum über die Rechtsfolgen des Schweigens aus. Liegt allerdings der Irrtum nicht bei der Frage der Rechtsfolgen des Schweigens, sondern beim Irrtum über den Inhalt des durch Schweigen zustande gekommenen Rechtsgeschäfts, so ist ein Anfechtungsgrund gemäß § 119 I 1, 119 II BGB analog vorhanden und damit eine Anfechtung möglich. 


Beispiel zur Anfechtung des Schweigens mit Zustimmungswirkung

A und B vereinbaren einen befristeten Mietvertrag über 6 Monate. A setzt den Gebrauch der Mietsache nach Ablauf der 6 Monate fort. Weder A noch B erklären innerhalb von zwei Wochen einen entgegenstehenden Willen. Damit ist der Mietvertrag nun auf unbestimmte Zeit verlängert. A kann nun sein Schweigen nicht mit der Begründung anfechten, dass er nicht gewusst habe, dass das Schweigen eine Verlängerung des Mietvertrages auf unbestimmte Zeit zur Folge habe. Wurde allerdings im Mietvertrag vereinbart, dass die Miete nach 6 Monaten um 20 % steigt und hatte A diese Klausel übersehen, so kann er den Mietvertrag diesbezüglich anfechten. 


Anfechtung bei Schweigen als Ablehnung

Im Falle der Ablehnungswirkung des Schweigens ist eine Anfechtung ausgeschlossen. Dies wäre auch sinnlos, da die Anfechtung einer Ablehnung noch keine Zustimmung beziehungsweise Annahme erzeugt, sondern ein weiterer Willensakt für eine Zustimmung beziehungsweise Annahme notwendig wäre. 


Beispiel zur Anfechtung des Schweigens mit Zustimmungswirkung

A hat mit dem minderjährigen M einen Kaufvertrag über ein iPhone für 500 EUR abgeschlossen. Eine Einwilligung der Eltern des M zum Kauf des iPhone durch M liegt nicht vor. A erfährt von der Minderjährigkeit des M und fordert nun die Eltern zur Genehmigung des Vertrages auf. Die Eltern schweigen auf die Aufforderung des A. Der Kaufvertrag ist zunächst schwebend unwirksam und wird nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 108 II 2 BGB endgültig unwirksam. Würden die Eltern nun den Vertrag doch genehmigen wollen und ließe man deshalb eine Anfechtung des Schweigens zu, so würde der Kaufvertrag wieder aus der endgültigen Unwirksamkeit in das Stadium der schwebenden Unwirksamkeit versetzt. Die Genehmigung würde aber immer noch fehlen und der Vertrag wäre daher auch immer noch unwirksam. Damit wäre eine Anfechtung des Schweigens sinnlos. Wenn die Eltern in dieser Situation doch noch den Kaufvertrag genehmigen wollen, müssen sie dem A ein Angebot im Namen des M machen. 

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