Willenstheorie gegen Erklärungstheorie - Wer überzeugt mehr?
Das Erklärungsbewusstsein ist Teil des Tatbestandes einer Willenserklärung. Es gehört neben dem Handlungswillen und dem Geschäftswillen zum subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung. Ein klassischer Fall hierzu ist die sogenannte "Trierer Weinversteigerung".
Trierer Weinversteigerung
Der ortsfremde K befindet sich auf einer Weinversteigerung und kennt dort die Gepflogenheiten und Verkehrssitten nicht. Als er einen Bekannten sieht, hebt er seine Hand zum Gruß und erhält vom Versteigerer den Zuschlag.
Definition des Erklärungsbewusstsein
Das Erklärungsbewusstsein ist die kognitive Einsicht des Handelnden, sich rechtserheblich zu verhalten und etwas Rechtserhebliches zu äußern.
Im Fall zur Trierer Weinversteigerung fehlt das Erklärungsbewusstsein
Im obigen Fall weiß der K nicht, dass sein Handheben im Verkehrskreis der Versteigerung die Abgabe eines Gebotes symbolisiert. K fehlt damit die kognitive Einsicht, sich rechtserheblich zu verhalten K denkt, er hebt die Hand zum Gruß und handelt damit lediglich gesellschaftlich, nicht rechtlich relevant. K fehlt damit das Erklärungsbewusstsein.
Streit zwischen Willenstheorie und Erklärungstheorie
Seit jeher streiten Rechtsprechung und Literatur darüber, wie man den Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins am besten löst. Im Wesentlichen werden hierbei zwei Theorien vertreten: Die Willenstheorie und die Erklärungstheorie.
Die Willenstheorie schützt den Erklärenden
Nach der Willenstheorie ist das Erklärungsbewusstsein konstitutives Tatbestandsmerkmal des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung. Fehlt das Erklärungsbewusstsein, so liegt kein subjektiver Tatbestand und damit auch keine wirksame Willenserklärung vor. Die Willenstheorie begründet ihre Auffassung mit einer Analogie zu § 118 BGB. Wenn der Handelnde im Rahmen der direkten Anwendung des § 118 BGB schon bei bewusstem Fehlen des erklärten Willens geschützt wird, so erst recht bei unbewusstem Fehlen der Abgabe einer Willenserklärung.
Ausgleichende Gerechtigkeit durch § 122 BGB analog
Die Willenstheorie gibt dem Erklärungsempfänger, der auf das Erklärungsbewusstsein und damit auf die Willenserklärung des Erklärenden vertraut hat, einen Ausgleichsanspruch aus § 122 BGB analog. Dies folgt einmal rechtslogisch aus der anlogen Anwendung des § 118 BGB, der in § 122 BGB tatbestandlich aufgeführt ist. Andererseits aber will auch die Willenstheorie das enttäuschte Vertrauen des Erklärungsempfänger kompensieren. Wenn schon die Willenserklärung des Erklärenden unwirksam ist und ihm damit sein Anspruch rechtsgeschäftlicher Anspruch genommen wird, soll er im Gegenzug dafür wenigstens den Vertrauensschaden ersetzt bekommen.
Die Erklärungstheorie schützt den Rechtsverkehr
Die überwiegend vertretene Meinung wird in dem Begriff der Erklärungstheorie kondensiert. Hiernach genügt potentielles Erklärungsbewusstsein, damit das Erklärungsbewusstsein bejaht werden kann. Potentielles Erklärungsbewusstsein liegt vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst wird und wenn der Empfänger dieser Erklärung auch schutzwürdig ist. Dies ist er in der Regel, wenn er das Verhalten des Erklärenden als Willenserklärung interpretierte und auch interpretieren durfte.
Auch bei Stellvertretung gilt die Erklärungstheorie
Wird die Willenserklärung durch einen Vertreter abgegeben, so wird dies dem Vertretenen über § 166 I BGB zugerechnet. Das potentielle Erklärungsbewusstsein des Stellvertreters wirkt hier also für und gegen den Vertretenen.
Anfechtung gemäß § 119 I Alt. 2 BGB analog
Der Erklärende, der ohne Erklärungsbewusstsein gehandelt hat, muss sich zunächst an seiner Willenserklärung festhalten lassen. Er hat jedoch die Möglichkeit, die Willenserklärung über die Anfechtung zu vernichten. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist der Erklärungsirrtum gemäß § 119 I Alt. 2 BGB. Die Erklärungstheorie sieht hier den Erklärenden in einer vergleichbaren Situation wie den im Erklärungsirrtum Erklärenden. Da es aber für das fehlende Erklärungsbewusstsein keine Regelung gibt, wird durch eine analoge Anwendung die Regelungslücke geschlossen. Die Planwidrigkeit dieser Regelungslücke ergibt sich aus der Tatsache, dass ein Rechtsvakuum für die Situation des fehlenden Erklärungsbewusstsein nicht akzeptabel und daher nicht nicht gewollt sein konnte.
Auch bei der Erklärungstheorie Schadensersatzpflicht gemäß § 122 I BGB analog
Wenn der Erklärende seine Erklärung anficht, muss er auch im Gegenzug dem Erklärungsempfänger den Vertrauensschaden ersetzen. Dies ergibt sich aus der ausgleichenden Gerechtigkeit dafür, dass dem Erklärenden die Anfechtungsmöglichkeit überhaupt zugestanden wird. Die Schadensersatzpflicht und analoge Anwendung des § 122 I BGB ergibt sich aber auch stringenterweise aus der analogen Anwendung des § 119 I 2 BGB. Denn auch in der direkten Anwendung muss der sich im Erklärungsirrtum befindende Erklärende dem schutzwürdigen Erklärungsempfänger den Vertrauensschaden und somit das negative Interesse ersetzen.
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