24. Januar 2018

Willensvorbehalt - Geheimer Vorbehalt - Mentalreservation - Beispiel

Sachlicher Schutzbereich des § 116 S. 2 BGB

Die Nichtigkeitsfolge des § 116 S. 2 BGB gilt grundsätzlich nur für empfangsbedürftige Willenserklärungen.


Arten von Willenserklärungen bezogen auf die Empfangsbedürftigkeit

Es gibt empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen.


Definition der empfangsbedürftigen Willenserklärungen

Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind solche Willenserklärungen, die auf einen Empfänger hin gerichtet sind, und daher für ihre Wirksamkeit neben einer Abgabe auch eines Zugangs beim Empfänger bedürfen.


Beispiele für empfangsbedürftige Willenserklärungen

Vertragsangebot gemäß § 145 BGB, Rücktrittserklärung gemäß § 349 BGB oder auch Anfechtungserklärung gemäß § 143 I BGB.


Definition für nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen

Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen sind Willenserklärungen, die auf keinen Empfänger hin gerichtet sind und damit alleine durch die bloße Abgabe in den Rechtsverkehr, also die äußere Manifestation des Willens durch den Erklärenden, wirksam werden.


Beispiele für nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen

Willenserklärungen im Rahmen eines Testaments gemäß § 2247 BGB, bei einer Auslobung gemäß § 657 BGB oder der Dereliktion (Eigentumsaufgabe) gemäß § 959 BGB.


Regelung des § 116 S. 1 BGB

Gemäß § 116 S. 1 BGB ist eine Willenserklärung nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. 


Beispiel zu § 116 S. 1 BGB im Kontext einer empfangsbedürftigen Willenserklärung

T bietet dem M sein iPhone zum Kauf an, obwohl sich T insgeheim vorbehält, das iPhone überhaupt nicht an M zu verkaufen. 
Auch wenn T also subjektiv in Wahrheit überhaupt nicht verkaufen will, ist die Willenserklärung des T in Form des Angebotes dennoch wirksam, vgl. § 116 S. 1 BGB. Dies lässt sich damit erklären, dass sowohl der objektive Tatbestand einer Willenserklärung als auch der subjektive Tatbestand einer Willenserklärung in Form von Handlungswille und Erklärungsbewusstsein vorliegen. Der insgeheim fehlende Geschäftswille ist hier letzten Endes unbeachtlich.


Sinn und Zweck des § 116 S. 1 BGB: Schutz des gutgläubigen Erklärungsempfängers

Wenn M diesen Vorbehalt des T nun nicht erkennt, dann bleibt die Willenserklärung wirksam und T ist an sein Angebot gebunden. Wenn M allerdings nun erkennt, dass T sich insgeheim vorbehalten hatte, das iPhone überhaupt nicht an M zu verkaufen, dann ist das Angebot unwirksam, vgl. § 116 S. 2 BGB.


Sinn und Zweck des § 116 S. 2 BGB: Schutz des Erklärenden

Die Willenserklärung ist gemäß § 116 S. 2 BGB nichtig, wenn der Adressat den Vorbehalt kennt. Hier steht der Schutz des Erklärenden über dem des Adressaten, da der Adressat als Bösgläubiger nicht bzw. weniger schutzwürdig ist. Wenn M also im Beispielsfall den Vorbehalt kennt, so ist das Angebot des T nichtig, da M als Wissender nicht schutzwürdig ist.


Beispiel für eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung und die Lösung nach § 116 BGB

X ist seine Katze entlaufen. Er bietet gemäß § 657 BGB jedem Finder, der ihm seine Katze wiederbringt, 5000 EUR Belohnung und hängt dieses "Angebot" im Stadtpark aus. Insgeheim behält er sich dabei vor, dem Finder überhaupt keine Belohnung zu bezahlen.


Lösung gemäß § 116 S. 1 BGB

Gemäß § 116 S. 1 BGB ist dieser geheime Vorbehalt des X unbeachtlich; damit ist sein "Angebot" auch wirksam. Wenn also nun jemand die Katze findet und ihm zurückbringt, muss der X dem Finder auch die Belohnung in Höhe von 5000 EUR bezahlen.
Sinn und Zweck: Schutz desjenigen, der den gewünschten Erfolg herbeiführt. 


Lösung gemäß § 116 S. 2 BGB

§ 116 S. 2 BGB gilt ausweislich des Wortlautes nur für empfangsbedürftige Willenserklärungen, so dass dieser grundsätzlich nicht auf den obigen Fall anwendbar ist. Selbst wenn der Finder daher von dem Vorbehalt des X wusste, die Belohnung eigentlich nicht bezahlen zu wollen, so kann er dennoch von X die 5000 EUR fordern. 
Sinn und Zweck: Schutz des Finders, wie es auch § 657 BGB vorsieht. 
ABER: Aufgrund der Bösgläubigkeit des Finders liegt trotz einer "nur" nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung bei der Auslobung hier dennoch eine Vergleichbarkeit mit einer Situation bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen vor. Daher kommt eine analoge Anwendung des § 116 S. 2 BGB hier in Betracht.


Voraussetzungen der Analogie



Planwidrige Regelungslücke



Regelungslücke

§ 116 S. 2 BGB gilt für empfangsbedürftige Willenserklärungen, aber nicht für nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen. Auch eine anderweitige Regelung im Sinne des § 116 S. 2 BGB existiert im Zivilrecht und insbesondere im BGB für nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen nicht. Eine Regelungslücke ist damit gegeben. 


Planwidrigkeit der Regelungslücke

Wie der obige Fall zeigt, gibt es auch bei nicht-empfangsbedürftigen Willenserklärungen, z. B. einem Testament oder der Auslobung, den Fall, dass ein Dritter den Vorbehalt des Erklärenden kennt und damit bösgläubig ist. Denn zwar bedarf es für die Wirksamkeit eines Testaments keines Gegenübers, bei dem die Willenserklärung zugeht; letzten Endes aber richtet sich ein Testament oder eine Auslobung auch an einen Dritten, nämlich beim Testament den Erben oder aber bei der Auslobung denjenigen, der die gewünschte Handlung vornimmt. Diese Situation hat der Gesetzgeber nicht bedacht und daher keine Regelung dafür geschaffen, obwohl es hierfür aber ein Bedürfnis gibt. Die Gesetzeslücke kann daher nur planwidrig sein. 


Vergleichbare Interessenlage



Interessenlage bei § 116 S. 2 BGB direkt

Kennt der Empfänger einer empfangsbedürftigen Willenserklärung den geheimen Vorbehalt des Erklärenden, so ist er nicht schutzwürdig und hat kein Vertrauen in den Bestand der Willenserklärung. Daher ist die Erklärung dann auch folgerichtig nichtig. § 116 S. 2 BGB schützt daher die Interessen des Erklärenden, der die Wirksamkeit seiner empfangsbedürftigen Willenserklärung von Anfang an nicht wollte.      


Interessenlage bei § 116 S. 2 BGB analog

Derjenige, an den sich die Willenserklärung letzten Endes richtet, also beispielsweise den Erben beim Testament, ist im Ergebnis dann nicht schutzwürdig, wenn er den geheimen Vorbehalt des Erklärenden, also des Erblassers, kennt. Auch hier ist dem Schutz des Erklärenden dann der Vorzug zu geben. § 116 S. 2 BGB analog schützt daher die Interessen des Erklärenden, der die Wirksamkeit seiner nicht-empfangsbedürftigen Willenserklärung von Anfang an nicht wollte.


Vergleichbarkeit der Interessenlage bei § 116 S. 2 BGB direkt und § 116 S. 2 BGB analog

Sowohl § 116 S. 2 BGB direkt als auch § 116 S. 2 BGB analog geben dem Erklärenden dann den Vorzug im Rahmen der Schutzwürdigkeit, wenn der Erklärungsempfänger oder jedenfalls der von der Erklärung am Ende Profitierende/Betroffene den geheimen Vorbehalt kennt, damit kein schutzwürdiges Vertrauen in die Wirksamkeit der Willenserklärung haben kann und damit nicht bzw. weniger im Vergleich zum Erklärenden schutzbedürftig ist. Die Situationen sind damit zwar nicht gleich, aber im Rahmen einer Bewertung vergleichbar. 

Eine vergleichbare Interessenlage liegt damit vor.

Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 116 S. 2 BGB für die Auslobung gemäß § 657 BGB vor.

Damit ist bei der Auslobung, trotz Nichtvorliegens einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, da die Auslobung ein Fall einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung ist, eine (analoge) Anwendung des § 116 S. 2 BGB möglich.

Für den obigen Fall bedeutet dies, dass der bösgläubige Finder nicht schutzwürdig und damit analog § 116 S. 2 BGB die nicht-empfangsbedürftige Willenserklärung des X im Rahmen der Auslobung nichtig ist. 


Sinn und Zweck

Schutz des X als Erklärenden, der jedenfalls schutzwürdiger als der bösgläubige Finder sein soll; zumindest nach der Wertung des Gesetzgebers. 


Verhältnis des § 116 BGB zu § 1314 BGB

Bezüglich § 1314 BGB gilt im Verhältnis zu § 116 S. 2 BGB das Spezialitätsprinzip, so dass die Vorschrift im Anwendungsbereich des Eherechts nicht anwendbar ist. Anwendbar bleibt aber § 116 S. 1 BGB. Damit ist ein geheimer Vorbehalt zur Nichteingehung der Ehe im Rahmen der Eheschließung unbeachtlich. 

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